Unified-Team der SG Weinstadt

Das etwas andere Fußballteam

Die SG Weinstadt und die Diakonie Stetten stellen gemeinsam eine inklusive Mannschaft auf die Beine. Der Ligabetrieb startet Ende April.

Artikel aus den Stuttgarter Nachrichten

Von Eva Herschmann

Auf den ersten Blick ist es ein ganz gewöhnliches Fußballtraining montagabends auf einem der Kunstrasenplätze der SG Weinstadt. Die Trainer Sebastian Müller und Jan Bauer haben die Spieler in zwei Gruppen aufgeteilt.In der einen Gruppe dribbeln sie mit dem Ball am Fuß um bunte Hütchen herum, in der anderen werden Torschüsse geübt. Alles ganz normal also. Doch die gemischtgeschlechtlichen Fußballer, die hier trainieren, sind bei genauer Betrachtung etwas ganz Besonderes. Sie sind Teil der ersten inklusiven Fußballmannschaft im Rems-Murr-Kreis, die aus einer Kooperation der SG Weinstadt und der Diakonie Stetten entstanden ist. Der Rest des Teams besteht aus Fußballern der zweiten Mannschaft der SGW sowie deren AH – und miteinander starten sie im April in die erste Saison der neuen Unified-Liga in der Region Stuttgart.
Ganz normal Fußball zu spielen, das ist schon lange der Wunsch der Fußballer aus der Behinderteneinrichtung, die in der Zentrale in Stetten oder in einer der im Kreis verstreuten Außenwohngruppen der Diakonie leben. Der Doppelpass mit der Fußballabteilung der SG Weinstadt macht das nun möglich. „Hau die Kugel rein“, sagt Sebastian Müller und legt den Ball für Benjamin Schick zurecht. Der 34-Jährige ist Kapitän der neuen Mannschaft. Der Spielführer und sein Stellvertreter Christian Hägele kicken seit Jahren zusammen. „Wir haben beide beim Paul mit Fußball angefangen“, sagt Benjamin Schick. Paul Hermann war Mitarbeiter der Diakonie Stetten und hatte jahrelang, auch noch lange nach seinem Ruhestand, ballbegeisterte Bewohnerinnen und Bewohner der Einrichtung trainiert, ihnen Taktik und Technik beigebracht.

Wir bekommen von unserem Verein alles, was wir brauchen.“
Sebastian Müller,
Trainer

„Wir hatten schon vor mehr als drei Jahren die Idee, eine gemischte Fußballmannschaft zu bilden, aber dann kam Corona“, sagt Benjamin Schick. Schon unter Paul Hermann gehörte er zu den besten Balltretern der Diakonie, die anno 2013, seinerzeit noch als nicht inklusive „Remstalkicker“, sogar um die Teilnahme an den Special Olympics 2014 in Düsseldorf spielten. Damals trafen sie sich immer dienstags in der kleinen Sporthalle im Schlosshof. Der Parkettboden dort taugt nicht wirklich zum Kicken, was die Begeisterung für den Ballsport unter den Spielern aber in all den Jahren nie geschmälert hatte. Doch es war weit von dem entfernt, was die Fußballerinnen und Fußballer jetzt an Trainingsmöglichkeiten und Unterstützung bekommen.
Das liegt vor allem am Engagement der Fußballabteilung der SG Weinstadt, die weit mehr als nur Platz und Trainingsanzüge für die neue Mannschaft zur Verfügung stellt. „Als wir noch vor der Coronapandemie die Unified-Idee in der Abteilung vorgestellt haben, war die Resonanz durchweg positiv“, sagt Martin Wundrak, der Fußball-Chef. „Die inklusive Mannschaft ist mittlerweile ein ganz normales Team unserer Abteilung.“ Sebastian Müller, wie sein Trainerkollege Jan Bauer Wohngruppenmitarbeiter der Diakonie, lobt das Zusammenspiel mit der SG Weinstadt ebenfalls, das bereits im September 2019 begann, wegen der Ausnahmesituation im Sport aber jetzt erst richtig gelebt werden kann. „Wir bekommen von unserem Verein alles, was wir brauchen.“
Die 18-köpfige Weinstädter Unified-Elf funktioniert – und bereitet sich derzeit auf ihre erste Saison vor. Zwei Freundschaftsspiele haben sie bereits absolviert: Gegen die Spielgemeinschaft TV Nellingen/FC Esslingen United gelang ihnen ein 4:4 in der ersten Begegnung und ein 4:2-Sieg in der zweiten Partie. „Anfangs gab es natürlich schon ein paar Berührungsängste, doch nach dem ersten gemeinsamen Spiel waren alle begeistert“, sagt Martin Wundrak.
Vorrangiges Ziel ist es zwar, zusammen Spaß zu haben, doch der Ehrgeiz schwingt auch mit. Denn am 30. April startet – in Zusammenarbeit mit dem Württembergischen Fußballverband – die neue Unified-Liga in der Region Stuttgart, und die SG Weinstadt ist mit einem gemischten Team dabei. Ebenso wie der TSV Musberg, einer der Vorreiter in Sachen Inklusion, die Spielgemeinschaft TV Nellingen/FC Esslingen United sowie die Wilhelm-Maybach-Schule Stuttgart.
Die drei Vereine und die Schule hatten sich Anfang des Jahres kurzgeschlossen und gemeinsam den Start der – aktuell noch kleinen – neuen Liga beschlossen, die als „Verbandsliga Herren Unified“ auf fußball.de zu finden ist. „Der erste Versuch war gleich ein Volltreffer“, sagt Benjamin Schick und grinst wie ein Honigkuchenpferd. Doch nicht nur er ist glücklich. „Wir freuen uns alle, dass es nun endlich losgeht“, sagt Sebastian Müller.

Die Fußballer des Unified-Teams der SG Weinstadt trainieren seit einigen Monaten, und nun geht es endlich in der neu gegründeten Liga um Tore und Siege. Foto: Gottfried Stoppel

Inklusion im Sport

Unified Sports „Special Olympics Unified Sports“ ist ein weltweit etabliertes Programm zur Bildung von inklusiven Teams, in dem Menschen mit geistiger Behinderung und Menschen ohne geistiger Behinderung gemeinsam Sport treiben. In nahezu allen Sommer- und Wintersportarten wird es angeboten: im Teamsport, in Rückschlagsportarten wie Tischtennis oder Tennis oder auch in der Leichtathletik. Zusammen Sport zu treiben, so heißt es auf der Internetseite der Special Olympics Deutschland, sei „gelebte Inklusion und leistet einen wichtigen Beitrag dazu, dass Hemmschwellen und Berührungsängste abgebaut werden“.

Unified-Ligen Die Hanseaten waren die Vorreiter. Im September 2013 startete die bundesweit erste Handball-Unified-Liga in Hamburg, mit vier Vereinen, Mut zu Experimenten und großer Begeisterung für den Sport. Seitdem entdecken immer mehr Sportarten das Thema Inklusion. Einer der Vorreiter beim inklusiven Fußball im Großraum Stuttgart ist der TSV Musberg, der 2018 das Unified-Team „All-Inklusiv“ gegründet hat und ebenfalls in der neuen Unified-Liga der Regon Stuttgart mitspielt. „Mittlerweile haben wir fast 30 Spielerinnen und Spieler, sieben Mädchen und 20 Jungs im Alter von acht bis 26 Jahren“, sagt Alex Schmidt, Trainer und Teambetreuer beim TSV Musberg.
Der Spielbetrieb findet im Turniermodus statt, drei Turniertage stehen fest, und der erste davon wird am letzten Sonntag im April in Weinstadt angepfiffen. „Uns war wichtig, dass der Start bei uns ist. Denn wir wollen daraus ein inklusives Sportfest machen, mit Bewirtung und Unterstützung von ganz vielen Bewohnern der Diakonie, aber offen für alle“, sagt Sebastian Müller. Die Verbindung zwischen der Behinderteneinrichtung und der Fußballabteilung sei nicht nur sportlich ein Gewinn, ergänzt Martin Wundrak. „Wir haben nicht nur ein weiteres Team im Spielbetrieb, sondern auch ganz viele neue Helferinnen und Helfer bekommen, die uns bei Heimspielen unterstützen.“
Natürlich hat das Unified-Team auch ein eigenes Trikot – mit dem Logo ihres Vereins auf der Brust sowie dem Namen ihres Sponsors, der Diakonie Stetten.Auch der FußballBundesligist VfB Stuttgart unterstützt die ganz besondere und doch völlig normale neue Fußballmannschaft der SG Weinstadt. Die Verbindung zu den Profis vom Neckar hat Jochen Spieth hergestellt. Er war früher viele Jahre beim VfB Stuttgart in der Marketingabteilung und ist jetzt Chef der Öffentlichkeitsarbeit bei der Diakonie. Mit dem Ergebnis, dass der Ausrüster der Stuttgarter Profis einen ganzen Satz Trikots in Mannschaftsstärke zur Verfügung stellte, das die Grafikabteilung des VfB nach den Wünschen der Remstäler designt hat und in Bad Cannstatt auch kostenlos bedruckt wurde. „Die Regenbogenfarben wollten wir natürlich mit drauf haben, denn sie sind das weltweite Zeichen von Toleranz“, sagt Sebastian Müller. Auch die Verbindung zum VfB Stuttgart ist auf den Trikots dokumentiert: Auf den Ärmeln prangt der VfB-Fairplay-Button.
Benjamin Schick, sein Co-Kapitän Christian Hägele und seine Mitspieler können es kaum mehr erwarten, bis es mit dem Ligabetrieb losgeht. „Wir wollen als ernsthafte Kicker behandelt werden, und das werden wir jetzt“, sagt der 34-jährige Kapitän stolz, läuft an und schießt die Kugel ins Netz.

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